Da erklärt mir eine neuzigjährige Frau: “Den Leuten geht es einfach zu gut! In den schlechten Jahren waren die Kirchen voll, aber jetzt, wo keiner eine Not hat, glauben die Leute, dass sie Gott nicht brauchen.”
Ich mag der Dame mit ihrer langen Lebenserfahrung eigentlich nicht widersprechen. Aber bloß weil der Kühlschrank voll ist, ist mein Leben ja nicht sorgenfrei. Krisen aller Art können mich beuteln. Da brauche ich keine Nachkriegszeit.
Manchmal reicht ein Telefonanruf, um ein Leben auf den Kopf zu stellen. Plötzlich ziehts dir den Boden unter den Füßen weg, und du fragst dich, was dir jetzt noch Halt geben kann. Und dann sitzt du auf dem Boden deiner Wohnung, die Knie angewinkelt, die Arme um die Beine geschlungen. Klein zusammengefaltet in dieser Welt, die gerade dein Feind ist.
Wenn die Hände, die sich an den Knöcheln treffen, sich mal falten, und du spürst, wie gut es tut, einem unsichtbaren Gott den ganzen Mist mal anzuvertrauen und ein bisschen Hoffnung zu schöpfen. Ja, dann kann ich die Erfahrung der Neunzigjährigen endlich mal selbst verstehen.
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